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65J, weiblich, Verdacht auf nAion

Liebe Kollegen vom OCT Forum,

Wir wünschen uns Unterstützung/Gedankengänge bei einer Kundin.

65 Jahre, weiblich

stationäre Aufnahme Augenklinik am 03.07.25 - 09.07.25

RA Papillenschwellung mit V.a. nAion

IOD beidseits unauffällig

GF-Ausfälle als Folge werden subjektiv als sehr störend wahrgenommen

Papille: RA zirkulär randunscharf mit Blutung bei 11.30 Uhr, blutet seit 03.07. (ASS muss leider dauerhaft genommen werden, Schlaganfall mit 48J.)

Perimetrie: staionär erfolgt, zirkuläre Skotome RA (nicht näher ausgeführt)

Behandlung erfolgte mit hochdosierten Prednisolon (erhöhte Entzündungswerte)

Refraktion 04/2024

RA +0,75 -0,25 8    Add 2,25   Vcc 0,8

LA +1,25 -0,75 129 Add 2,25   Vcc 1,0

Refraktion 23.07.25

RA +1,50 -0,50 156 Add 2,25  Vcc 0,8 (kein Visusverlust, aber Werte schwanken von neu zu alt)

LA +1,50 -0,75 112 Add 2,25   Vcc 1,0

Gibt es in diesem Fall eine sinnvolle weitere Behandlung?

Reicht es abzuwarten, bis die Schwellung zurück geht?

Ab wann lassen sich stabile Messwerte erwarten?

Die Kundin ist aktuell sehr aufgelöst und wünscht gute Aufklärung.

Vielen Dank vorab!

Das Team von Janine Flor Augenoptik

 

Aufnahme Fundus nicht besser möglich, sehr kleine Pupillen

 

Hochgeladene Dateien:

Liebe Janine,

vielen Dank für deinen interessanten Beitrag. Mich würde interessieren, wie die Entzündungswerte aussahen, – da ja eigentlich eine NAION? Wenn eine arteriitische Form (AAION) sicher ausgeschlossen ist, kommt Chen et al. in seiner Meta-Analyse („Steroids in the treatment of nonarteritic anterior ischemic optic neuropathy“) zu dem Ergebnis, dass Steroide keinen nachweisbaren Nutzen bringen. Allerdings habe ich schon von gegenteiligen Meinungen gehört/gelesen?

Als Augenoptiker sind wir in der Diagnose und Therapie ohnehin raus und dürfen/können da nicht zu viel sagen, aber mein Eindruck ist: Abgesehen von der Behandlung zugrundeliegender Risikofaktoren sind die Optionen begrenzt. Danke auch an der Stelle an die Ärzte - ich bin froh dass es euch gibt, wenn so Kunden bei uns in den Laden kommen!

Refraktion: Wenn der Leidensdruck nicht zu groß ist, würde ich warten, bis die Papille wieder scharf begrenzt ist und vor allem das Kortison abgesetzt ist.

Ich freue mich auf weitere Meinungen und eventuelle "Korrekturen"!

liebe Grüße

Georg

JFlor hat auf diesen Beitrag reagiert.
JFlor

Hallo zusammen,

heute geht es um ein Thema, das niemand von uns gerne in der Praxis sieht – und doch ist es eines, das wir erkennen, einordnen und im Sinne unserer Patientinnen und Patienten interdisziplinär begleiten müssen: die anterior ischämische Optikusneuropathie, kurz AION.

Ich möchte ich auch Georgs rührende Worte eingehen: Auch ich schätze die Zusammenarbeit mit euch sehr! Unser fachlicher Austausch, sei es hier im digitalen Raum oder bei Präsenzveranstaltungen, ist nicht nur bereichernd, sondern im besten Sinne gelebte Teamarbeit.

Was passiert bei einer AION?

Die AION ist ein dramatisches, meist einseitiges Ereignis. Innerhalb von Stunden oder sogar Minuten verspürt der Patient eine plötzliche Sehverschlechterung. Oft kommt es zusätzlich zu auffälligen Gesichtsfeldausfällen – typisch ist der sogenannte altitudinale Ausfall, bei dem entweder die obere oder die untere Hälfte des Gesichtsfelds betroffen ist. Im ärztlichen Aufklärungsgespräch nenne ich die AION gern einen „Schlaganfall des Sehnervs“, denn genau das ist sie: eine plötzliche Durchblutungsstörung des Sehnervenkopfs mit oft bleibendem Schaden.

Die schlechte Nachricht: Die Prognose ist häufig ungünstig. Weder die Sehleistung noch das Gesichtsfeld erholen sich zuverlässig, viele Defekte bleiben bestehen – trotz aller medizinischen Bemühungen.

Eine Erkrankung mit zwei Gesichter: aAION und naAION

Umso wichtiger ist es, bei Verdacht auf AION schnell und präzise zu differenzieren. Denn AION ist nicht gleich AION – es gibt zwei völlig unterschiedliche Formen mit gravierend verschiedenen Ursachen und Therapien.

Arteriitische AION (aAION)

In dieser Form liegt der Sehnervinfarkt einer entzündlichen Gefäßerkrankung zugrunde – meist einer Riesenzellarteriitis. Diese betrifft die kleinen Arterien, die den Sehnerv versorgen, ist jedoch Teil einer systemischen Erkrankung des gesamten Gefäßsystems. Die Folge: ein massiv erhöhtes Risiko für weitere vaskuläre Ereignisse – bis hin zum beidseitigen Erblinden oder sogar einem Schlaganfall.

Das Zeitfenster ist hier eng. Bereits bei Verdacht müssen die Entzündungswerte (BSG, CRP) bestimmt, die Temporalarterien sonographisch untersucht und bei Bedarf eine Arterienbiopsie in die Wege geleitet werden. Wird die Diagnose bestätigt, ist eine sofortige Hochdosis-Kortisontherapie unumgänglich. Nur so lässt sich verhindern, dass das zweite Auge ebenfalls erblindet – ein Schicksal, das ich leider bei verspäteter Therapie schon erleben musste.

Die häufigere, aber nicht gerade harmlosere nicht-arteriitische AION (naAION)

Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch um eine nicht-entzündliche, sogenannte nicht-arteriitische AION (naAION). Diese tritt weitaus häufiger auf und hat einen rein vaskulären Hintergrund – keine Entzündung, sondern eine Mikrozirkulationsstörung durch Risikofaktoren wie Hypertonie, Diabetes, Rauchen, Übergewicht oder obstruktive Schlafapnoe.

Besonders tückisch: Bei anatomisch engen Sehnervenköpfen – der berühmten „crowded disc“ – reichen schon kleinere Blutdruckschwankungen oder eine nächtliche Hypotension aus, um einen ischämischen Schaden auszulösen. Auch hier sehen wir eine akute Sehverschlechterung, eine Schwellung des Sehnervs (Papillenödem), teils mit flammenförmigen Blutungen – aber ohne systemische Entzündungszeichen.

Was tun bei einer naAION?

Die Therapie der naAION ist – ehrlich gesagt – ernüchternd. Es gibt keine kausale Behandlung, die den Schaden rückgängig machen könnte. Stattdessen setzen wir auf supportive Maßnahmen, um die Durchblutung zu optimieren, die Perfusion zu verbessern und das Risiko für ein Ereignis am Partnerauge zu senken.

Folgende Ansätze haben sich etabliert:

  • Thrombozytenaggregationshemmer wie ASS können die Mikrozirkulation verbessern.

  • Pentoxifyllin, ein rheologisch wirksames Medikament, wird ebenfalls eingesetzt, um die Fließeigenschaften des Blutes zu verbessern – wenn auch auf eher schwacher Evidenzbasis.

  • In manchen Kliniken wird zur Hämatokritsenkung noch ein Aderlass durchgeführt – eine traditionelle, aber in bestimmten Situationen wirksame Maßnahme.

  • Die Gabe von Kortison ist umstritten: Manche argumentieren für eine antödematöse Wirkung, andere – mich eingeschlossen – sehen darin eher eine Durchblutungsverschlechterung und potenzielle Erhöhung des Augeninnendrucks. Ich empfehle hier Zurückhaltung.

  • Stattdessen kann eine moderate Augendrucksenkung helfen, die Sehnervendurchblutung zu verbessern – einfach, sicher und logisch nachvollziehbar.

Früher war man sehr mutig - aber leider ohne Erfolg

Ein kurzer Exkurs in die Vergangenheit: In der Hoffnung, doch noch etwas „retten“ zu können, wurden in den letzten Jahrzehnten verschiedenste Therapieansätze ausprobiert – darunter die RON-Therapie, bei der ein Entlastungsschnitt am Sehnerv vorgenommen wurde, oder systemische Lysetherapien, angelehnt an die Schlaganfallbehandlung. Beide Ansätze zeigten jedoch keine signifikanten Verbesserungen – im Gegenteil: Die Lysetherapiestudie musste aufgrund schwerer Komplikationen, teils mit Todesfolge, sogar abgebrochen werden.

Rehabilitation und Verlauf

Die Abschwellung des Sehnervs kann sich über Wochen hinziehen. Doch in fast allen Fällen geht das akute Ödem in eine Optikusatrophie über – der Sehnerv wird blass, leblos. Ein schmerzhafter Moment, denn dann wird klar, was dauerhaft verloren ist. Da es sich um einen neuronalen Schaden handelt, sind Sehleistungsverbesserungen danach leider nicht mehr möglich.

Umso wichtiger ist der präventive Blick:

  • Eine gründliche kardiovaskuläre Abklärung ist Pflicht.

  • Der Blutdruck muss gut eingestellt sein – auch nachts!

  • Patient:innen sollten auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr, vor allem morgens, achten.

  • Risikofaktoren wie Übergewicht, Rauchen, Diabetes oder Schlafapnoe müssen adressiert werden.

  • Die Kombination aus Blutverdünner, Pentoxifyllin und ggf. Augendrucksenkung hat sich – wenn auch ohne Goldstandard – als pragmatische und sinnvolle Maßnahme etabliert.

Zusammenfassung: 

Die AION ist eine stille Katastrophe – sie kommt plötzlich, bleibt meist dauerhaft und ist therapeutisch nur schwer zu fassen. Aber gerade in der interdisziplinären Zusammenarbeit liegt unsere Stärke: in der schnellen Differenzierung, im Verständnis für die systemischen Zusammenhänge und in der empathischen Begleitung der Betroffenen.

Bei Rückfragen meldet euch einfach.
Herzliche Grüße!

Dr. med. Joshua Torrent D.

Georg Scheuerer, Martin Kneppeck und JFlor haben auf diesen Beitrag reagiert.
Georg ScheuererMartin KneppeckJFlor