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Netzhautauffälligkeit bei einem 4-Jährigen

Hallo liebes Forum ich benötige bitte mal eure dringende Hilfe.

heute war ein Junge (4Jahre) zur Sehanalyse da.

Aktuelle Brille: R: +4,25 -1,00 136° L: +3,50 -0,75 59°        Skiaskopie: R: +4,75 -1,00 135° L: +2,50 -0,50 70°       Sehleistung aufgrund mangelnder "Motivation" nicht messbar.

Farbensehen unauffällig, kein Stereosehen vorhanden, Hirschberg-Test unauffällig, Motilität: beim Blick nach oben gleitet das rechte Auge leicht nasal weg (-> keine Schmerzen, keine Doppelbilder), Pupillenreflex normal, Fundusreflex normal. Das linke Auge wird nach Anweisung des Augenarztes 3Stunden täglich abgeklebt.

Eine Aufnahme mit der Funduskamera und dem OCT war herausfordernd aber nicht unmöglich. Hierdurch wurde mir einiges klar.

Jedoch weiß ich nicht was das ist!! Habt ihr eine Idee dazu?

 

Ich freue mich auf eure Gedankengänge, Verdachtsdiagnosen und Vorschläge für das weitere Vorgehen.

Viele Grüße Carina Brüggemann

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Guten Morgen zusammen,

da sitzt man beim Frühstück, schaut entspannt ins Forum und stößt auf einen hochinteressanten Fall – selbst für einen Netzhautspezialisten wie mich eine seltene Entdeckung! Auf den ersten Blick wirkten die Ausgangsdaten gar nicht so auffällig. Doch bei genauerer Analyse zeigte sich ein ganz anderes Bild.

Die Bestimmung der Sehschärfe bei Kindern stellt oft eine Herausforderung dar, da kleine Patienten nicht immer kooperativ sind und verlässliche Messungen erschweren. Daher bevorzuge ich zur Objektivierung der Refraktion die Skiaskopie. In diesem Fall liegt eine Hyperopie von 4 dpt vor, was für ein vierjähriges Kind recht hoch ist. Daher würde ich eine Brillenanpassung anhand der Skiaskopie-Werte empfehlen. Die beschriebene Schielstellung, vermutlich ein sogenanntes A-Phänomen, ist aktuell nur beobachtungswürdig und nicht direkt behandlungsbedürftig. Auch eine Prismenversorgung ist nicht erforderlich, da manifeste und persistierende Doppelbilder derzeit nicht vorliegen. Dank der kompetenten Befundung durch euch – beispielsweise einem unauffälligen Hirschberg-Test – kann ein manifester Strabismus ausgeschlossen werden.

Soweit also zunächst nichts Ungewöhnliches – ein typischer Befund, wie ich ihn oft in meiner Kindersprechstunde sehe. Doch dann habe ich mir die Bilder angesehen…

Mein erster Gedanke: Liegt hier vielleicht eine Verwechslung vor? Wurde möglicherweise das falsche OCT hochgeladen? Doch als ich den Fundus begutachtete, war schnell klar – hier handelt es sich um eine echte Besonderheit. Auffällig war die deutliche Verziehung der Gefäße am rechten Auge, die bis ins Zentrum reichte. Solche Gefäßverziehungen sind in diesem Alter äußerst unüblich. Zwar beobachtet man sie häufiger bei Kindern mit Frühgeborenen-Retinopathie, allerdings meist bilateral und nicht in dieser isolierten Form. Die alleinige Verziehung am rechten Auge ließ mich stutzen – ein spannender Befund, der eine genauere Analyse verlangte.

Beim Blick auf das OCT wurde die Pathologie schließlich eindeutig: Eine ausgeprägte epiretinale Membran (ERM), die durch eine oberflächliche Traktion die inneren Netzhautschichten (RNFL) und die Gefäße verzog. Eine ERM ist per se keine Seltenheit – aber in diesem jungen Alter? Selbst mit meiner langjährigen Erfahrung in der Netzhautdiagnostik hatte ich so einen Fall noch nicht gesehen.

Epiretinale Membranen oder Gliosen (ERM) entstehen aus einem proliferativen Gewebe und induzieren eine Faltenbildung oder Verzerrung der Makulaoberfläche. Sie werden je nach Ausprägung auch als Makulapucker oder Cellophan-Makulopathie bezeichnet und treten meist bei Menschen über 50 Jahren auf. Häufig sind sie beidseitig vorhanden, wenn auch oft asymmetrisch. In den meisten Fällen entstehen sie bei Erwachsenen im Zusammenhang mit Augenerkrankungen wie diabetischer Retinopathie, idiopathisch oder als Folge von Netzhautläsionen, -rissen oder -ablösungen aber auch nach Netzhautbehandlungen wie Laserungen, usw.

Obwohl es Studien zu ERM bei Patienten unter 40 Jahren gibt, existieren kaum Berichte, die sich ausschließlich mit Kindern befassen. Eine schnelle Literaturrecherche zu diesem Thema gerade ergab, dass epiretinale Membranen bei etwa 1 von 21.000 Kindern vorkommen. Die häufigsten Ursachen sind Trauma, Uveitis oder eine idiopathische Genese. Diese Inzidenz -Wahrscheinlichkeit möchte allerdings kritisch hinterfragen, da mir im Laufe meiner augenärztlichen Tätigkeit, welche auch mit einer Zusammenarbeit mit der Kinderabteilung geprägt ist, so ein Fall noch nicht begegnet ist.

Die häufigsten Ursachen sind Trauma, Uveitis oder eine idiopathische Genese. Ich halte es für am wahrscheinlichsten, dass in diesem Fall eine einseitige idiopathische epiretinale Membran (iERM) vorliegt.

Das größte Problem in diesem Fall ist die potenzielle Bedrohung des Visus am rechten Auge. Eine Amblyopie-Behandlung durch Abkleben des linken Auges wäre hier wenig zielführend, da die Netzhaut des rechten Auges aufgrund der ERM strukturell keine optimale Sehschärfe entwickeln kann. Daher erscheint eine frühzeitige chirurgische Intervention sinnvoll. Dies würde allerdings eine Vitrektomie mit Membran-Peeling bedeuten – eine OP, die langfristig zu einem sekundären Katarakt führen kann. Somit könnte in der Zukunft eine weitere Operation zur Kataraktentfernung erforderlich werden.

Die bisherigen Studien zu dieser seltenen Indikation zeigen jedoch, dass die chirurgische Entfernung von ERM bei Kindern eine hohe anatomische und funktionelle Erfolgsrate hat. Besonders bei epiretinalen Membranen, die die Fovea betreffen, konnte nach der Operation häufig eine gute Sehschärfe erreicht werden – insbesondere, wenn die Membran diffus war und nicht nur lokalisiert vorlag.

Ein solch seltener Fall erfordert ein hohes Maß an Fingerspitzengefühl – sowohl bei der Entscheidung über den richtigen Zeitpunkt der Operation als auch beim gewählten chirurgischen Vorgehen. Die weitere Betreuung in einer spezialisierten Augenklinik mit Sehschulabteilung wäre sinnvoll, um die postoperative Entwicklung optimal zu überwachen. Ich bin sicher, dass der behandelnde Augenarzt dies in die Wege leiten wird.

Ein großes Lob an alle, die sich mit diesem Fall befasst haben – ohne eure aufmerksame Diagnostik wäre die Problematik möglicherweise nicht rechtzeitig erkannt worden. Dank der frühen Entdeckung stehen alle Optionen für eine erfolgreiche Behandlung offen, was eine gute Prognose ermöglicht. Ich bin gespannt auf die kommenden Updates zu diesem spannenden Fall!

Viele Grüße an Alle in dieser Community,

Dr. med. Joshua Torrent Despouy

Andy Steinmeyer hat auf diesen Beitrag reagiert.
Andy Steinmeyer

Vielen herzlichen Dank für die wunderbare und ausführliche Hilfe. Der kleine Patient war heute Vormittag beim Augenarzt und wurde an die Uniklinik in Mainz überwiesen. Wir halten euch weiterhin auf dem laufenden.

Liebe Grüße Carina Brüggemann