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Irvine-Gass-Syndrom

Rechtes Auge

22.08.22 Operation wg. Ablatio

12.04.23 Pseudophak

06.06.23 Diagnose Irvine-Gass-Syndrom, Verschreibung von Nevanac (wird seit dem durchgehend getropft)

27.06.23 Glaupax Tabletten (abgesetzt da unverträglich)

20.11.23 Nachstar gelasert

Seit 17 Monaten existiert das Irvine-Gass-Syndrom. Nur am 13.04.24 war es (auch mit dem Radialscan) nicht zu sehen.

Bei der Aufnahme am 1.11.24 ist das Makulaödem in jedem der 7 Radialschnitte zu sehen und verläuft nasal bis zentral unter die Foveola. Subjektiv störend wird die zentrale Metamorphopsie wahrgenommen.  Morgens ist das Sehen verschwommen, was sich über den Tag bessert.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es noch? Das Interesse ist auch privater Natur, da es sich um ein Familienmitglied handelt.

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Georg Scheuerer hat auf diesen Beitrag reagiert.
Georg Scheuerer

Hallo zusammen,

dieser Fall ist wirklich besonders interessant und verdient eine genaue Betrachtung. Zunächst würde man bei dem Verlauf tatsächlich spontan an ein Irvine-Gass-Syndrom denken. Das Irvine-Gass-Syndrom ist bekannt als ein zystoides Makulaödem, das typischerweise im Anschluss an eine Kataraktoperation auftritt. Pathophysiologisch führt eine postoperative Entzündungsreaktion zu einer erhöhten Gefäßpermeabilität im retinalen Kapillarnetz, wodurch Flüssigkeit in die Netzhautschichten austritt und sich in der Makula ansammelt. Doch bei diesem Patienten stellt sich die Frage, ob wir tatsächlich mit einem klassischen Irvine-Gass-Syndrom konfrontiert sind.

 

Warum? Denn anders als bei einem typischen Irvine-Gass-Syndrom, das in der Regel eine passagere und selbstlimitierende Entzündung ist und sich innerhalb von 6-8 Wochen in der Regel zurückbildet, zeigt dieser Fall einen deutlich hartnäckigeren Verlauf. Das stellt die initiale Diagnose in Frage. Im OCT sind zwar unspezifische zystische Veränderungen sichtbar, die mit einem Makulaödem vereinbar sind, aber auch zahlreiche Differentialdiagnosen kommen infrage. Die Chronifizierung des Befundes ist untypisch und legt den Verdacht auf eine alternative Pathologie nahe.

 

Eine konservative Therapie mit Nevanac (einem topischen nichtsteroidalen Antiphlogistikum) oder eine unterstützende systemische Behandlung mit Acetazolamid (Glaupax oder Diamox) kann in den ersten Wochen durchaus hilfreich sein, um den Rückgang des Ödems zu fördern. Doch es ist wichtig zu betonen: Diese Therapieoptionen sind nicht als langfristige Lösungen gedacht. Was wir hier vielmehr benötigen, ist eine erneute und umfassende diagnostische Bewertung. Eine Fluoreszenzangiographie könnte helfen, die zugrunde liegende Pathologie und die Permeabilitätsstörung präzise zu charakterisieren.

 

Erfahrungsgemäß sind chronisch persistierende Makulaödeme häufiger mit anderen Erkrankungen assoziiert, wie zum Beispiel einem diabetischen Makulaödem, einer leichten Venenastthrombose oder sogar einer posterioren Uveitis. Solche Pathologien könnten den ungewöhnlich hartnäckigen Verlauf besser erklären und eine gezielte Therapie erfordern.

 

Doch, und hier kommt ein weiterer wichtiger Punkt ins Spiel: Trotz der diagnostischen Unsicherheit ist das Ödem in diesem Fall relativ gering ausgeprägt, und die funktionelle Beeinträchtigung des Patienten ist minimal. Das erklärt, warum eine beobachtende, zurückhaltende Herangehensweise bisher eventuell gerechtfertigt war.

 

Die Frage, ob wir die Diagnose überdenken und auf eine intensivere Therapie wie IVOM (intravitreale Augeninjektionen) umsteigen sollten, ist keine einfache. Hier ist es entscheidend, die Bedürfnisse und den Leidensdruck des Patienten mit in die Entscheidung einzubeziehen. Sollte der Patient aufgrund seines aktuellen Leidensdrucks und der stabilen Befundlage keine invasivere Behandlung wünschen, könnte eine zurückhaltende Beobachtung weiterhin sinnvoll sein. Letztendlich müssen sowohl diagnostische als auch therapeutische Schritte in enger Absprache mit dem Patienten getroffen werden.

Diese Diskussion verdeutlicht einmal mehr, wie wichtig ein individualisiertes Vorgehen ist, das sowohl die medizinischen Fakten als auch die Perspektive des Patienten berücksichtigt.

 

Herzliche kollegiale Grüße,

Dr. med. Joshua Torrent Despouy

 

Georg Scheuerer, Andy Steinmeyer und Martin Kneppeck haben auf diesen Beitrag reagiert.
Georg ScheuererAndy SteinmeyerMartin Kneppeck

Sehr geehrter Herr Dr. med. Joshua Torrent Despouy,
Hallo Martin,

vielen Dank für die Beiträge - da habe ich wieder etwas dazugelernt. Wenn ich an Irvine-Gass
denke, würde ich eher an ein größeres CME denken(?); hier scheint es wenn dann ein
„Mini-Irvine-Gass-Syndrom" zu sein. Oder war das CME früher einmal stärker ausgeprägt?
Meine Frage wäre, wie ihr die Läsion klassifizieren würdet: Wäre die Bezeichnung „Pseudozyste"
korrekt? Falls die Erscheinung temporal zur Foveola und bilateral wäre, würde ich
möglicherweise an MacTel 2 denken. Ich meine, eine minimale Gliose in Richtung
Sehnerv zu erkennen - könnte das ebenfalls eine Ursache sein?
Sollte eine Fluoreszenzangiographie (FLA) durchgeführt werden, wäre es großartig,
wenn ihr die Bilder/Video hier teilen könntet.
Ein tolles Forum! Vielen Dank.

Georg Scheuerer

Martin Kneppeck hat auf diesen Beitrag reagiert.
Martin Kneppeck

Da bin ich wieder!

Die Ausprägung eines Ödems beim Irvine-Gass-Syndrom ist tatsächlich variabel und nicht genau definiert. Beim Irvine-Gass-Syndrom handelt es sich allgemein um die Entstehung eines zystoiden Makulaödems infolge einer Kataraktoperation. Dabei reicht das Spektrum von minimalen, kaum wahrnehmbaren Flüssigkeitsansammlungen bis hin zu deutlich symptomatischen Ödemen. In vielen Fällen bleibt das Ödem subklinisch und wird deshalb nicht bemerkt, da es keine spürbare Visusverschlechterung verursacht. Dies ist häufig der Fall bei leichten Formen, wie zum Beispiel bei vereinzelter und geringer Zystenbildung.

Im Gegensatz dazu zeigen die klassischen, ausgeprägten Varianten des Irvine-Gass-Syndroms eine deutliche postoperative Sehverschlechterung. Hier fällt das Ödem durch eine signifikante Reduktion der Sehschärfe auf, die oft diagnostische Maßnahmen und therapeutische Interventionen erforderlich macht.

Den Begriff Pseudozysten sollten wir hier jedoch nicht verwenden. Pseudozysten sind typischerweise "optisch leere Räume" und mit degenerativen Atrophieprozessen assoziiert, wie sie bei der atrophischen Makuladegeneration vorkommen, und befinden sich meist in den äußeren Netzhautschichten. Die hier beobachteten Zysten sind real und resultieren aus einer gestörten Permeabilität der retinalen Kapillaren, was ein pathophysiologisch nachvollziehbares Ödembild darstellt.

Eine weitere potenzielle Differentialdiagnose könnte durchaus eine makuläre Teleangiektasie Typ 2 sein. Doch auch hier gibt es charakteristische Merkmale: Diese Erkrankung tritt in der Regel beidseitig auf und ist durch eine typische, scharf abgegrenzte Zystenkonfiguration gekennzeichnet, was bei unserem Fallbild nicht der Fall zu sein scheint.

 

Um diese Überlegungen zu vertiefen und die morphologischen Veränderungen besser einordnen zu können, wäre wie bereits erwähnt eine weiterführende Diagnostik sinnvoll. Eine Fluoreszenzangiographie könnte helfen, die Dynamik und das Ausmaß der Permeabilitätsstörung genauer zu erfassen. Zusätzlich wäre eine OCT-Angiographie nützlich, um die mikrovaskulären Strukturen und die Gefäßformationen in der Makula detaillierter darzustellen und gegebenenfalls andere Pathologien auszuschließen.

Viele Grüße,

 

Dr. med. Joshua Torrent Despouy

Martin Kneppeck hat auf diesen Beitrag reagiert.
Martin Kneppeck

Guten Morgen Herr Dr. Torrent Despouy und Herr Scheurer,

anbei eine aktuelle OCT-Angiographie die ich gestern gemacht habe. In der Aufsicht ist die Größe der Flüssigkeitsansammlung zu sehen. Eine mikrovaskuläre Gefäßneubildung kann ich nicht feststellen. Ihr Hinweis auf eine Gliose ist richtig Herr Scheurer - im Volumenscan konnte ich diese bereits seit ein paar Monaten sehen. Diese hat m. E. jedoch noch keine Relevanz und sie übt keinen traktiven Zug aus. Eine Venenasttrombose die als Möglichkeit genannt wurde würde ich ebenfalls aufgrund des Fundusbildes ausschließen.

Meine Frage: Können wir mit Hilfe der Angio Aufnahme die Ursache weiter eingrenzen und somit auch die Wahl der Behandlung? Oder benötigen wir zwingend die Fluoreszenzangiografie welche eine Belastung für den Betroffenen darstellt?

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Georg Scheuerer hat auf diesen Beitrag reagiert.
Georg Scheuerer

Hallo Herr Kneppeck,

vielen Dank für die ergänzenden Informationen.

Soweit ich das beurteilen kann, sehe ich im OCT-A keine größeren Auffälligkeiten. Allerdings bin ich in diesem Bereich nicht so erfahren, da ich das Modul selbst nicht besitze. Sollte jemand dazu mehr sagen können, bin ich gespannt.

@Dr. med. Joshua Torrent Despouy: Vielen Dank für die Erläuterungen! Klasse!

Viele Grüße
Georg Scheuerer

Hallo in die Runde!

zunächst einmal: großes Lob an Herrn Kneppeck für die exzellenten OCTA-Aufnahmen! Die Bildqualität ist hervorragend und erfasst die Pathologie mit einer großen Präzision.

Die Bewertung der OCT-Aufnahmen zeigt keine Anzeichen einer Neovaskularisation. Das Kapillarnetz bleibt auch im Bereich der Zysten unauffällig. In diesem Punkt gebe ich Ihnen vollkommen recht: Es liegt keine AMD-assoziierte Neovaskularisation vor. Zudem weist die Kapillarkonstellation nicht auf eine Venenastthrombose hin, was den Verdacht darauf weiter entkräftet. Allerdings, und hier eine kleiner Hinweis, lässt sich eine durchgemachte Thrombose allein anhand des Fundusbildes nicht ganz ausschließen. Manchmal verschwinden die Fundusveränderungen nach einigen Monaten vollständig, sodass ein auf den ersten Blick unauffälliger Fundus keine Garantie für eine ungestörte Durchblutungshistorie ist. Bleibende Zeichen, wie ein chronisches und hartnäckiges Ödem, könnten hier Hinweise liefern – aber zugegeben, in der OCTA hätte ich in diesem Fall mehr Unregelmäßigkeiten im Kapillarmuster erwartet, die hier jedoch fehlen.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen können wir aber eine makuläre Teleangiektasie.

Das bringt uns zu der Frage, welche Ursachen noch in Betracht kommen. Der Kreis der Verdachtsdiagnosen wird kleiner aber leider nicht eindeutiger: Eine leichte Uveitis posterior oder das eher seltene chronifizierte Irvine-Gass-Syndrom könnten weiter die Übeltäter sein.

Nun zur Frage, welchen diagnostischen Mehrwert eine Fluoreszenzangiographie (FA) noch bieten könnte: Im Gegensatz zur OCTA kann die FA nicht nur die Gefäßarchitektur, sondern auch Permeabilitätsstörungen, also die Dichtigkeit der Gefäße, aufzeigen – eine Fähigkeit, die in dieser Situation von entscheidendem Nutzen sein könnte.

Da wir diagnostisch schon einiges ausgeschlossen haben, bleiben zwei mögliche Strategien:

1.

Wenn der Visus stabil ist und der Patient keine signifikanten Beschwerden hat, könnte man erst einmal abwarten. Manchmal ist Geduld der beste Diagnostiker, und der Verlauf der Pathologie könnte unsere Hypothesen bestätigen oder uns neue Ursachen oder Erklärungen aufzeigen.

2.

Sollte der Patient allerdings unter eingeschränktem Visus, Metamorphopsie und entsprechendem Leidensdruck leiden, könnte eine einmalige intravitreale Kortison-Injektion in Betracht gezogen werden.

Der Fall ist spannend und lässt Raum für verschiedene Herangehensweisen. Ich habe bereits einige solcher kniffligen Fälle als Netzhautspezialist begleitet, und dieser hier ist wieder einmal ein Paradebeispiel dafür, dass OCT-Befunde nicht immer eine glasklare Erklärung liefern.

 

Viele Grüße aus dem Norden,

 

Dr. med. Joshua Torrent Despouy

Martin Kneppeck hat auf diesen Beitrag reagiert.
Martin Kneppeck

Vielen Dank für ihre schnelle Antwort Herr Dr. Torrent Despouy! Wie ich sehe sind sie ebenfalls noch nachts „optometrisch“ unterwegs ;-)

Eine kleine Anmerkung noch: Vor der Anschaffung des OCT im Febr. diesen Jahres hatte ich 11 Jahre eine Funduskamera, so dass in diesem Fall lückenlos regelmäßige Aufnahmen stattgefunden haben, die unauffällig waren. Denn Sie haben völlig recht, dass ich aufgrund einer Aufnahme keine Rückschlüsse ziehen kann. Haben Sie es denn schon einmal  in ihrer beruflichen Praxis erlebt, dass sich Mikrozysten wie in diesem Fall nach 17 Monaten wieder vollständig zurückbilden? Dies wäre für eine wichtige Information für mich.

Vielen Dank für ihr unermütliches Engagement!

Guten Morgen Herr Kneppeck,

als Augen-Arzt mit Netzhautschwerpunkt und einem umfassenden therapeutischen Behandlungsspektrum habe ich häufig Patienten mit besonders hartnäckigen und herausfordernden Verläufen in meiner Sprechstunde. Oft weisen mir aus gleichem Grunde Kollegen solche spannenden Fälle zur Mitbeurteilung mit.

Fälle wie dieser sind für mich immer wieder spannend und motivierend – ähnlich wie für einen Detektiv, der mit analytischer Präzision und durch die richtigen Hinweise dem Mörder auf die Spur kommt.

Erst vergangene Woche durfte ich einen Patienten mit einem sehr ähnlichen Verlauf begutachten: Er litt seit über einem Jahr unter der Diagnose eines Irvine-Gass-Syndroms mit einer vergleichbaren Ödemausprägung und hatte bereits viele erfolglose Therapieansätze hinter sich. Nach gründlicher Diagnostik stellte sich auch in diesem Fall heraus, dass das Kapillarnetz im Bereich des Ödems rarefiziert war, was klar auf eine thrombotische Ursache hinwies. Mein therapeutischer Ansatz war, zunächst abzuwarten und dem Gewebe Zeit zu geben, sich zu regenerieren. Tatsächlich bildeten sich die Zysten in der Folge zurück oder wurden asymptomatisch.

In einem anderen Fall, bei dem die Zysten visuslimitierend waren, schlug ich eine Kortison-Injektion vor. Der Patient nahm diesen Vorschlag dankend an, und die „medikamentöse Motivationsspritze“ für die Netzhaut erwies sich als entscheidend, um Ruhe und Stabilität zu erreichen.

Ein dritter Patient zeigte eine atypische MacTel, die sich leider keinem therapeutischen Ansatz als zugänglich erwies. Hier war es essenziell, ein offenes und transparentes Gespräch über den Status und die Prognose zu führen, um gemeinsam den besten Umgang mit der Situation zu finden.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass selbst nach langer Zeit eine erstaunliche Rückbildung der Zysten möglich ist. Dennoch ist es mir wichtig, individuell auf den Leidensdruck und die Wünsche des Patienten einzugehen und die Behandlung entsprechend auszurichten. Mein Ziel ist es stets, den besten therapeutischen Weg im Sinne des Patienten zu definieren.

Mit den besten Grüßen,

Dr. Joshua Torrent Despouy

 

 

Martin Kneppeck hat auf diesen Beitrag reagiert.
Martin Kneppeck